Mit CCS zur Klimaneutralität? Die Renaissance einer umstrittenen Technologie
01.11.2024
Von Tobias Haas (RIFS), Alina Brad (Universität Wien), Etienne Schneider (Universität Wien)
Die Etablierung von Carbon Capture and Storage (CCS) in Deutschland ist in den 2000er Jahren gescheitert. Momentan erlebt die Technologie eine bemerkenswerte Renaissance. Die Bundesregierung hat Eckpunkte einer Carbon-Management-Strategie vorgelegt, eine Langfriststrategie Negativemissionen ist in der Konsultationsphase, die Novellierung des Kohledioxidspeicherungsgesetzes bereits im parlamentarischen Verfahren. Doch Konflikte, Unsicherheiten und Risiken bestehen fort.
CCS global
Die Idee, Kohlendioxid unterirdisch zu speichern, hat ihre Ursprünge in den 1970er Jahren. Sie wurde als eine Form des Geoengineerings entwickelt – mit dem Ziel, den Anstieg der Treibhausgase in der Atmosphäre zu bremsen.
In den 2000er Jahren bekam die Technologie erstmals eine breite Aufmerksamkeit. Der Weltklimarat veröffentlichte im Jahr 2005 ein Sondergutachten zu CCS. Darin wird der Technologie eine große Bedeutung bei der Eindämmung des Klimawandels zugesprochen. Zugleich wurden bereits in den 1990er Jahren die ersten CCS-Anlagen errichtet. In Norwegen wird seit 1996 Kohlendioxid in Sleipner gespeichert.
Trotz des großen Potenzials und damit verbundener Zukunftsversprechen hat sich die Technologie jedoch bis heute nicht durchgesetzt. Die Zahl der realisierten Projekte blieb stets weit hinter den optimistischen Prognosen zurück. Was sind die Gründe dafür?
Probleme
Das Global CCS Institute benennt die hohen Kosten und mit Projekten verbundene Unsicherheiten als zentrales Hemmnis der Entwicklung von CCS. Im Prinzip handelt es sich bei CCS um verschiedene Technologien, die bei Abscheidung, Komprimierung, Transport und Speicherung von Kohlendioxid zur Anwendung kommen.
Dass die Fallzahl gering ist und die Speicherung von CO2 nie mit identischen geologischen Gegebenheiten verbunden ist, sorgt für Unsicherheiten im Hinblick auf die Kosten und Risiken der Technologie. Zudem gibt es in Europa noch keine CO2-Pipelineinfrastruktur, die günstige Transportmöglichkeiten eröffnet. Auch der rechtliche und regulatorische Rahmen für die Skalierung von CCS muss erst noch geschaffen werden, die CO2-Preise im europäischen Emissionshandel liegen deutlich unter den prognostizierten Kosten für CCS.
CCS in Deutschland damals
In Deutschland waren jedoch weniger potenzielle Kosten für das Scheitern von CCS verantwortlich, sondern starke Proteste gegen CCS, die sich insbesondere in den Gegenden, die für die Speicherung vorgesehen waren, entzündeten.
Zudem wurde in den 2000er Jahren die Implementierung von CCS nur in Verbindung mit der Kohleenergie anvisiert. Entsprechend stellte sich die Frage, ob die Zukunft der Stromversorgung auf Kohle mit CCS oder auf Basis erneuerbarer Energien sichergestellt werden sollte. Die Entscheidung fiel auf letzteres Szenario. Erst im Jahr 2012 wurde das Kohledioxidspeicherungsgesetz verabschiedet – das häufig als CCS-Verhinderungsgesetz bezeichnet wird.
CCS wurde in Deutschland, abgesehen von einer Pilotanlage im brandenburgischen Ketzin, nicht weiter erprobt.
CCS in Deutschland heute
In den letzten Jahren hat die Technologie eine bemerkenswerte Renaissance erfahren. Die Zuspitzung und Politisierung des Klimawandels in Verbindung mit ambitionierten Netto-Null-Zielen bilden den Rahmen dafür. In allen fünf Klimaneutralitätsszenarien für Deutschland kommt CCS eine bedeutende Rolle zu – für das Jahr 2045 wird der jährliche Speicherbedarf zwischen 34 und 73 Millionen Tonnen beziffert.
Inzwischen wird CCS nicht mehr mit Kohle in Verbindung gebracht, sondern mit schwer- oder unvermeidbaren Restemissionen. Die Zement- und Kalkindustrie, aber auch die Abfallwirtschaft gelten als solche Branchen. Gleichwohl ist es höchst umstritten, welche Branchen in welchem Umfang Zugang zu den noch zu errichtenden CCS-Infrastrukturen bekommen sollen. Denn die Gefahr einer fossilen Pfadabhängigkeit besteht weiter. So wird in der Carbon-Management-Strategie ein technologieoffener Ansatz anvisiert, der lediglich Kohlekraftwerke ausschließt. Entsprechend deutlich ist die Kritik von Seiten der Umwelt-NGOs an dem Entwurf.
Noch weitgehend offen ist die Frage, welche Bedeutung CCS für Negativemissionen zukommen soll. Als vielversprechende Ansätze zur CO2-Entnahme gelten Bioenergie und die Abscheidung von Kohlendioxid aus der Umgebungsluft in Verbindung mit CCS, also BECCS (Bioenergy and CCS) und DACCS (Direct-Air-Capture and Carbon Storage). Gleichwohl ist es unklar, in welchem Umfang diese Technologien in der Zukunft verfügbar sein werden.
Zukunftsszenarien
CCS fügt sich in ein technologiefokussiertes Paradigma ein. Klimaneutralität soll wesentlich mittels Technologien wie CCS, aber auch Wasserstoff oder synthetischen Kraftstoffen erreicht werden. Damit soll weiteres Wirtschaftswachstum generiert werden. Ein Problem ist allerdings, dass der Aufbau entsprechender Infrastrukturen mit Flächen- und Ressourcenbedarfen verbunden wäre, die Konflikte anheizen und Ungleichheiten vertiefen könnten.
Entsprechend plädieren wir, wie auch in einem längeren Beitrag zum Thema, für die Priorisierung von Suffizienzaspekten und Möglichkeiten zur Reduktion des Endverbrauchs (demand-side mitigation), um den Bedarf an CCS sowie an BECCS and DACCS zum Ausgleich von Restemissionen wesentlich zu reduzieren. Damit ist nicht gesagt, dass CCS schlichtweg obsolet wäre. Denn trotz umfassender Dekarbonisierung in Kombination mit einer stärkeren, an Postwachstums-Debatten angelehnten Suffizienzorientierung werden bestimmte Restemissionen bestehen bleiben.
Gleichzeitig werden ökosystembasierte Senken, die diese ausgleichen könnten, aufgrund des Klimawandels zunehmend unter Druck geraten. Angesichts dessen sollte es weniger um die Frage gehen, ob CCS und CCS-basierte Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre zum Einsatz kommen sollen. Es sollte vielmehr um die Frage gehen, welche und wessen schwer vermeidbaren Emissionen dadurch möglicherweise reduziert bzw. ausgeglichen werden und wie sich CCS in ein Szenario globaler Klimagerechtigkeit einfügt.
Dieser Beitrag erschien zuerst am 30. Oktober 2024 im Blog Transforming Economies der Bertelsmann-Stiftung.