Ein feministischer Blick auf die Energiewende
12.09.2023
Damit der Wandel zu einem nachhaltigen Energiesystem gelingt, brauche es mehr Geschlechtergerechtigkeit, sagt die US-amerikanische Politikwissenschaftlerin Cara Daggett. Während eines einjährigen Fellowships am RIFS erforscht sie, wie die Politik gesellschaftliche Strukturen fördern kann, die eine Abkehr von fossilen Energieträgern erleichtern.
Fossile Brennstoffe sind mehr als nur eine Industrie, die gigantische Gewinne erwirtschaftet. Ihre Nutzung hat laut Daggett auch zur Entstehung einer Mentalität beigetragen, der zufolge die Natur für den Menschen arbeiten sollte. Am meisten profitierten von dieser Art des Wirtschaftens weiße Männer in den Industrieländern: Einige von ihnen standen an der Spitze von Regierungen und Ölgesellschaften, viele andere verdienten gutes Geld als Facharbeiter. Das bedeute jedoch nicht, dass Männer von Natur aus eine positive Haltung zu fossilen Brennstoffen haben. Vielmehr untersucht Daggett, wie sich Strukturen der intensiven Energienutzung und eines patriarchalen Imperialismus gemeinsam entwickelt und gegenseitig verstärkt haben. Im Zentrum stand dabei die Ausbeutung: von der Natur, von Frauen, von Kolonien.
Autoritäre Bewegungen bremsen Strukturwandel
In ihrem Essay „Petromaskulinität. Fossile Energieträger und autoritäres Begehren” (2018) untersuchte Daggett, Professorin für Politikwissenschaft an der Virginia Tech, das Zusammenspiel dieses dominanten Männlichkeitsbegriffs mit der Macht der fossilen Industrie. Sie zeigte auf, dass die Widerstände gegen ein nachhaltigeres Energiesystem eng verknüpft sind mit neuen autoritären Bewegungen, die geprägt sind von Rassismus, Frauenhass und Leugnen des Klimawandels. Der mangelnde Einfluss von Frauen auf die Entwicklung des Energiesystems ist ein Symptom dieses umfassenderen Problems.
Daggetts Ziel am RIFS ist es, aus einer feministischen Perspektive Alternativen für ein gerechteres und nachhaltigeres Energiesystem zu entwerfen. „Feministische Energie: Geschlechterspezifische Dimensionen der Entwicklung von Solar- und Windenergie“ lautet der Titel ihres Projektes, an dem sie mit zwei Ko-Autorinnen arbeitet. Im Einklang mit dem Ansatz des Forschungsinstituts für Nachhaltigkeit ist die Arbeit interdisziplinär ausgerichtet und umfasst Fallbeispiele des Strukturwandels in verschiedenen Regionen.
Arbeit neu denken
Dabei ist das Anliegen der Wissenschaftlerinnen weit umfassender als die Frage der Repräsentanz von Frauen in Entscheidungspositionen. „Es ist wichtig zu erforschen, wie Frauen an der Macht teilhaben können, aber es reicht nicht aus. Wenn wir Frauen in die Aufsichtsräte von Energieunternehmen bringen, ändert das ja nichts an den Strukturen, die auf der Idee eines unendlichen, billigen Nachschubs fossiler Brennstoffe aufgebaut sind, und die den Reichtum auf Kosten anderer Menschen und Dinge konzentrieren“, sagt Cara Daggett. Diese Strukturen will sie hinterfragen und Alternativen erarbeiten.
Ein wichtiges Thema dabei sind Jobs. „Die gesellschaftliche Zustimmung zur Förderung fossiler Brennstoffe hängt stark am Argument der Arbeitsplätze. Mich interessiert daher, was wäre, wenn die Politik andere Möglichkeiten für bezahlte Arbeit fördert, etwa eine kürzere Arbeitswoche, ein Grundeinkommen oder Unterstützung für traditionell weibliche Tätigkeiten, die schlecht bezahlt sind, etwa in der Pflege.“ Solche Maßnahmen würden traditionell nicht der Energiewendepolitik zugeordnet, seien tatsächlich aber ein wichtiger Bestandteil davon. Denn fossile Brennstoffe seien nicht nur für den Planeten zu einer Sackgasse geworden, sondern auch für das Ziel, Arbeitsplätze für die Mittelschicht zu schaffen.
Weitere Informationen:
- In der ersten Folge der RIFS-Podcast-Serie Carbon Critique sprach Cara Daggett über ihr Buch "The Birth of Energy: Fossile Brennstoffe, Thermodynamik und die Politik der Arbeit".